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Im Königreich Böhmen wurde traditionell zwischen dem Böhmischen Herrenstand und dem landbesitzenden Ritterstand unterschieden. Dem Herrenstand gehörten um 1500 nur 30 Familien an, die im Böhmischen Landtag die Geschicke des Landes führten. Sie unterstanden einer privilegierten Gerichtsbarkeit, genossen persönliche Steuerfreiheit und anderes. Diese kleine Gruppe führender Familien hatte eine staatsrechtliche Stellung, die weit über die des Adels in anderen Ländern hinausging. Die Stände Böhmens legten, wie die ungarischen, Wert auf ihr traditionelles Recht zur Königswahl (siehe: Geschichte Böhmens), was die Habsburger aber zunehmend bestritten und zur reinen Formalie erklärten, um diese Kronen ihren Erblanden einzugliedern. Jahrhundertelang zählten zu den Ländern der Böhmischen Krone neben Böhmen und der Markgrafschaft Mähren auch die schlesischen Herzogtümer, die Grafschaft Glatz, die Ober- und Niederlausitz sowie kleinere Reichslehen, die jeweils ihre eigenen Ständevertretungen hatten und deren Adel die politische Autonomie ihrer Länder betonte. Innerer Zwist entstand durch die Hussitenkriege, wegen der Verfolgung der Hussiten, die 1436 durch den katholischen König zunächst anerkannt worden waren. Diese schlossen sich später dem Luthertum an, das auch in der Niederlausitz und in Schlesien (wie auch in Österreich und Ungarn) verbreitet war, darunter ein erheblicher Teil des böhmischen Adels. Der Ständeaufstand in Böhmen (1618) veranlasste König Ferdinand II. zur Entmachtung des Adels, was zur Auswanderung und Enteignung zahlreicher protestantischer Adliger (Exulanten) führte. Parteigänger der Gegenreformation, die zumeist selbst rechtzeitig rekonvertiert waren, konnten sich dabei erheblich bereichern. Die mit Hilfe der Jesuiten bewirkte Rekatholisierung von Adel und Volk sowie die Einführung der absolutistischen Königsherrschaft sicherten die habsburgische Zentralmacht ab. Mit der verneuerten Landesordnung von 1627 wurde eine neue Ständepyramide geschaffen; zur Aufnahme in den Herrenstand genügte jetzt die Verleihung eines Freiherren-, Grafen- oder Fürsten-Titels durch den König von Böhmen oder das Inkolat an eine entsprechende ausländische Familie. Der Herrenstand ergänzte sich nun nicht mehr selbst, sondern der König entschied darüber. Es erfolgte eine Gliederung in den alten Herrenstand, den böhmischen Freiherrenstand und den Ritterstand. Auch das politische Mitspracherecht war stark eingeschränkt, alle Landesämter kamen nun in die Verfügungsgewalt des Königs und dieser konnte darüber entscheiden, wer das Inkolat und damit auch die Berechtigung zur Teilnahme am Landtag erhielt. Einige Politiker und Heerführer aus königsnahen Familien, teils böhmische, teils österreichische, konnten die Ländereien der Exulanten günstig an sich bringen und großen Besitz akkumulieren. Die besondere Stellung des böhmischen Herrenstandes endete mit der Auflösung der ständischen Verfassung von 1849. Doch sahen sich dessen ehemalige Mitglieder noch bis 1918 als Bewahrer und Hüter der Rechte des Landes Böhmen innerhalb der Habsburgischen Erblande. In Tschechien existiert seit der Gründung der Tschechoslowakei im Jahr 1918 kein Adel mehr. Die Führung der ehemaligen Titel ist untersagt. In den 1920er Jahren verloren die Adelsfamilien etwa 20 % ihrer Besitzungen durch eine Landreform. Im Protektorat unter deutscher Besatzung wurden einzelne oppositionelle Adlige wie die Fürsten Max Lobkowicz und Adolph Schwarzenberg enteignet, einige als Zwangsarbeiter herangezogen. In der Dritten Tschechoslowakischen Republik zwischen 1945 und 1948 flohen die sudetendeutschen Adelsfamilien bereits aus dem Land bzw. wurden durch die Beneš-Dekrete enteignet und vertrieben, während die meisten Geschlechter mit tschechoslowakischer Staatsangehörigkeit ihren Besitz unter immer prekäreren Umständen noch halten konnten. In der kommunistischen Tschechoslowakischen Republik (1948–1960) wurden sie jedoch enteignet und verfolgt. Nach der Samtenen Revolution 1989 wurde in der nunmehrigen Tschechischen und Slowakischen Föderativen Republik 1991 ein Restitutionsgesetz verabschiedet, aufgrund dessen etliche ehemals adelige Familien im neu gegründeten Staat Tschechien ab 1992 ihre entzogenen Schlösser und in Teilen auch Grundbesitze zurückerhielten, sofern sie in der Zwischenkriegszeit die tschechoslowakische Staatsangehörigkeit besessen hatten, z. B. die ehemals fürstlichen Familien Schwarzenberg, Lobkowitz, Mensdorff-Pouilly und Kinsky sowie Angehörige der gräflichen Familien Czernin, Colloredo, Dobrženský, Kolowrat, Podstatzky-Prusinowitz, Schlik, Sternberg und anderer. Einige Vertreter des ehemaligen Hochadels gingen in die Politik; so war Karel (Fürst) Schwarzenberg zwischen 2007 und 2013 Außenminister Tschechiens und Michal (Prinz) Lobkowicz 1998 kurzzeitig Verteidigungsminister. In der Slowakei erfolgte eine Beschränkung der Restitution auf Enteignungen ab dem 25. Februar 1948, was insbesondere die ungarische Bevölkerungsminderheit betraf und infolge aufweichender Gerichtsentscheidungen dann teilweise zur Rechtsunsicherheit führte.
Tschechischer Adel