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Am 28. Juni 1914 besuchten Franz Ferdinand und seine Frau Sophie Herzogin von Hohenberg Sarajevo, die Hauptstadt des 1908 annektierten Bosniens. An jenem Tag beging Serbien zum ersten Mal den Veitstag als offiziellen Staatsfeiertag, den Jahrestag der Schlacht auf dem Amselfeld, an dem 1389 die Serben vernichtend von den Türken geschlagen worden waren. Nationalisten, die ein vereintes Serbien (und somit Gebiete der Monarchie, in denen Serben lebten) forderten, empfanden den Besuch des Paares als Provokation. Während der Fahrt durch Sarajevo wurde das Paar von dem serbischen Attentäter Gavrilo Princip erschossen, was zu einer schwerwiegenden Staatskrise, der Julikrise, führte. Nach dem Attentat von Sarajevo erhielt Kaiser und König Franz Joseph ein Treuebekenntnis des deutschen Kaisers Wilhelm II., der ihm versicherte, „im Einklang mit seinen Bündnisverpflichtungen und seiner alten Freundschaft treu an der Seite Österreich-Ungarns [zu] stehen“. Dieses Treuebekenntnis, das nicht voraussetzte, dass weitreichende Entscheidungen Österreich-Ungarns vorher mit dem Deutschen Reich abgesprochen wurden, empfanden politische Beobachter als Blankoscheck. Wie weit zu diesem Zeitpunkt der europäische Krieg bereits im Kalkül der deutschen Führung lag, ist in der historischen Forschung bis heute umstritten (→ Fischer-Kontroverse). Am 23. Juli stellte Österreich-Ungarn ein Ultimatum an Serbien, da man davon ausging, dass Serbien entscheidenden Anteil an dem Attentat hatte. Die Antwort aus Belgrad war nachgiebig und kooperativ.[10] Die Serben hatten allerdings nicht alle Bedingungen der k. u. k. Doppelmonarchie hundertprozentig akzeptiert. Österreichisch-ungarische Spitzenpolitiker und Militärs nahmen daher gern die Gelegenheit wahr, die serbische Antwort als unzureichend abzulehnen. In völliger Verkennung der Weltlage und der Schwäche der Monarchie motivierten sie den 84- jährigen Kaiser und König, der seit 48 Jahren keinen Krieg mehr geführt hatte, zur Kriegserklärung an das südöstliche Nachbarland, die am 28. Juli erfolgte. Dies bewog Russland zur Generalmobilmachung, da sich das Zarenreich aufgrund des Panslawismus als Behüter der slawischen Völker sah und den Balkan als eigenes Einflussgebiet betrachtete. Das Russische Reich erklärte Österreich-Ungarn den Krieg. Hierauf trat für das Deutsche Reich der Bündnisfall ein. Dieses trat an der Seite von Österreich-Ungarn in den Krieg ein. Da Russland mit Frankreich und Großbritannien verbündet war (Entente), kamen diese beiden dem zaristischen Russland zu Hilfe, womit der „Große Krieg“ später Erster Weltkrieg genannt – nicht mehr aufzuhalten war. Österreich-Ungarn im Ersten Weltkrieg Österreich-Ungarn war vor allem im wirtschaftlichen Bereich noch weniger als Deutschland auf einen langen Krieg vorbereitet. Manche Historiker sehen die Monarchie sogar als am wenigsten vorbereitete europäische Großmacht. Seine schwache politische und wirtschaftliche Struktur machte es für den modernen totalen Krieg besonders verletzlich, es hatte weniger Ressourcen für den Krieg zur Verfügung als jede andere Großmacht. Aber die politischen Führer in der Julikrise hatten nur einen kurzen Konflikt erwartet, der die politischen Probleme lösen sollte, ohne dass die schwache politische und wirtschaftliche Struktur der Monarchie zum Tragen kam. Wie die deutsche Politik war auch die österreichisch-ungarische noch zu sehr in der veralteten Vorstellung der Kabinettskriege der vergangenen Jahrhunderte verhaftet. Diese stark anachronistische Kabinettspolitik, die Völker und Grenzen einfach verschob, wurde aber oft gemischt mit moderner Politik, die den Volkswillen scheinbar berücksichtigte, aber in Wahrheit meist nur ein Deckmantel, nur leere Hülle ohne Inhalt war. Bei allen Unzulänglichkeiten der Wiener Diplomatie räumt der Historiker Gary W. Shanafelt ein, dass in der Situation des Ersten Weltkrieges auch die Fähigkeiten eines Metternich nicht ausgereicht hätten, um in den Leidenschaften dieses Krieges und bei den unlösbaren Nationalitätenproblemen Österreich-Ungarns, sei es durch einen Frontwechsel, sei es durch das Ausscheiden aus dem Krieg und die Einnahme einer neutralen Position, die Monarchie unversehrt, unter Wahrung ihres Großmachtstatus, in die Nachkriegszeit hinüberzuretten. Italien blieb zunächst neutral. Es sah sich trotz des Bündnisses (Dreibund) mit Österreich-Ungarn und dem Deutschen Reich nicht in der Pflicht, da es ein Defensivbündnis gewesen war und Italien die Mittelmächte (womit nicht die Größe der Macht, sondern die Lage in Mitteleuropa gemeint war) für die Verantwortlichen des Kriegsausbruches hielt. Italien stellte an Österreich-Ungarn die Forderung, italienischsprachige Gebiete der k. u. k. Monarchie, das Trentino, Triest, Istrien und Teile Dalmatiens, abzutreten. Österreich-Ungarn wollte allenfalls das Trentino (Welschtirol) abtreten. Deutschland erkannte die Gefahr, dass die Entente Italien in ihr Lager ziehen könnte, und mahnte Österreich-Ungarn, die Forderungen Italiens anzunehmen. Die Entente versprach im Vertrag von London Italien mehr: 1915 wechselte der ehemalige Bündnispartner Österreich-Ungarns in der Hoffnung, das Risorgimento abschließen und beide Küsten der Adria („mare nostro“ = unser Meer) beherrschen zu können, die Seiten. Der Fragilität des Vielvölkerstaates zum Trotz kämpfte die österreichisch-ungarische Armee bis zum Ende des Krieges. In Galizien musste die Armee zu Kriegsbeginn im Spätsommer 1914 schwere Niederlagen gegen die russischen Angriffsarmeen hinnehmen. Unersetzliche Verluste erlitt bereits in diesen Großkämpfen insbesondere das k. u. k. Offizierkorps. Vorübergehend gab es sogar die Furcht, die Russen könnten bis Wien vordringen. Die russische Bedrohung Ungarns und anderer lebenswichtiger Gebiete der Monarchie konnte erst ab Frühjahr 1915 abgewendet werden. Der deutsche Verbündete ging mit starken Kräften an der Ostfront in die Offensive und zwang die Russen schließlich zum Großen Rückzug aus Galizien und zur Aufgabe Polens. Allerdings verschärfte sich die Lage im Sommer 1916 erneut, als sich das k. u. k. Heer der Brussilow-Offensive des wiedererstarkten Zarenreichs gegenübersah. Wiederum stützte das Deutsche Reich den bedrängten Bündnispartner in größter Not, ein russischer Durchbruch konnte verhindert werden. 1916/17 konnte dann der neue Kriegsgegner Rumänien mit wiederum entscheidender deutscher Hilfe geschlagen werden. Die im Spätsommer 1916 entstandene große Gefahr für die Südflanke der Donaumonarchie war somit beseitigt. Serbien, von der Wiener „Kriegspartei“ als leichte Beute betrachtet, leistete 1914 erbitterten Widerstand gegen drei Offensiven der Donaumonarchie. Stark geschwächt, konnte es erst im Herbst 1915 mit deutscher und bulgarischer Hilfe niedergerungen werden und wurde besetzt, wodurch die Landverbindung zum osmanischen Verbündeten geöffnet wurde. Im Jänner 1916 wurde auch Montenegro erobert und besetzt. Italien gelang es auch in zwölf Isonzo-Schlachten nicht, in den angeblich „weichen Unterleib“ der k. u. k. Monarchie einzudringen; im Gegenteil, nach der 12. Schlacht rückten die österreichisch-ungarischen Truppen mit Unterstützung der deutschen 14. Armee bis an den Piave in Oberitalien vor. Auch im Gebirgskrieg in den Dolomiten in Südtirol blieb Italien erfolglos. Die Adria wurde eher von der k. u. k. Kriegsmarine beherrscht als von Italien. Kriegsgefangene alliierte Soldaten wurden unter anderem in den im heutigen Österreich gelegenen, großen Lagern Sigmundsherberg und Feldbach festgehalten. Große Internierungslager befanden sich in Drosendorf, Karlstein an der Thaya und Grossau. Nicht nur Kriegsgefangene, sondern auch „unzuverlässige“ Bürger Österreich-Ungarns wurden interniert. Russophile Ruthenen aus Galizien, der Bukowina und der Karpatenukraine wurden beispielsweise in die Lager Thalerhof und Theresienstadt deportiert, wo viele von ihnen starben. Die 1917 gehegte Hoffnung, dass der Waffenstillstand mit Russland, dem dort im selben Jahr die Oktoberrevolution folgte, die Wende zu einem Sieg der Mittelmächte einleiten würde, erfüllte sich aufgrund der mittlerweile eingetroffenen Streitkräfte der Vereinigten Staaten nicht. Die Überlegenheit des Deutschen Reiches, das wesentlich mehr Menschen, Rohstoffe und Waffen für den Krieg aufbringen konnte, ließ die k. u. k. Monarchie im Lauf des Krieges immer mehr unter den Einfluss des deutschen Generalstabes gelangen. Dieser wollte auch nach dem Kriegseintritt der USA 1917 auf Seiten der Entente lange nicht eingestehen, dass der Krieg nicht mehr zu gewinnen war. Die deshalb geheim erfolgten halbherzigen Friedensbemühungen Kaiser Karls I. blieben vergeblich. Auch seine Versuche, in Ungarn ein allgemeines, gleiches und direktes Wahlrecht durchzusetzen, scheiterten an der zunehmenden Radikalisierung der ungarischen Eliten. Im Hinterland gab es 1918 große Versorgungskrisen und Streiks, in der Bucht von Kotor in Dalmatien meuterten Matrosen.
Der Weg in den Krieg Julikrise 1914